Natural Wine
Natural Wine steht für minimale Eingriffe im Weinberg & Keller. Erfahre alles über Spontangärung, ungeschönte Weine & die Philosophie dahinter.
Was ist Natural Wine?
Natural Wine (Naturwein) bezeichnet Weine, die mit minimalen Eingriffen im Weinberg und Keller hergestellt werden. Die Philosophie dahinter: Der Wein soll das Terroir und den Jahrgang so authentisch wie möglich widerspiegeln, ohne dass Technologie und Zusatzstoffe das Ergebnis dominieren. Natural Wines verzichten weitgehend auf Schwefel, Schönung, Filtration und andere önologische Hilfsmittel.
Die Philosophie des Natural Wine
Natural Wine ist mehr als eine Weinbereitungsmethode – es ist eine Bewegung, die sich gegen die industrialisierte Weinproduktion richtet. Die Winzer wollen Weine schaffen, die "lebendig" sind, die Persönlichkeit zeigen und die Geschichte ihres Ursprungs erzählen. Im Gegensatz zu konventionellen Weinen, die oft durch Technologie standardisiert werden, dürfen Natural Wines wild, unperfekt und überraschend sein.
Die Bewegung hat ihre Wurzeln in den 1960er und 70er Jahren, als Winzer wie Marcel Lapierre im Beaujolais begannen, auf chemische Zusätze zu verzichten. Seitdem hat sich eine globale Community entwickelt, von Frankreich über Italien und Österreich bis nach Kalifornien und Australien.
Produktionsprinzipien
Im Weinberg
Natural Wine beginnt mit nachhaltiger, oft biologischer oder biodynamischer Bewirtschaftung:
- Keine synthetischen Pestizide oder Herbizide: Der Weinberg wird natürlich gepflegt, Unkraut wird mechanisch entfernt
- Handlese: Trauben werden von Hand gelesen, um optimale Reife und Gesundheit zu garantieren
- Niedrige Erträge: Weniger Trauben pro Stock bedeuten mehr Konzentration und Ausdruck
- Biodiversität: Viele Natural Wine-Winzer fördern Artenvielfalt im Weinberg (Begrünung, Insekten, Vögel)
Im Keller
Bei der Weinbereitung wird auf technologische Eingriffe verzichtet:
- Spontanvergärung: Keine Zugabe von Reinzuchthefen, die natürlichen Hefen auf den Trauben und im Keller übernehmen die Gärung
- Keine oder minimale Schwefelzugabe: Schwefel (SO₂) wird in der konventionellen Weinproduktion als Konservierungsmittel und Antioxidans verwendet. Natural Wines verzichten oft ganz darauf oder verwenden nur minimale Mengen vor der Füllung (unter 30 mg/l)
- Keine Schönung oder Filtration: Der Wein wird nicht geklärt, Trübstoffe und Feinhefe bleiben im Wein
- Keine Säure- oder Zuckerkorrektur: Der Wein wird nicht technisch angepasst, er ist, wie er ist
- Keine Temperaturkontrolle: Die Gärung verläuft natürlich, ohne künstliche Kühlung oder Erwärmung
- Keine neuen Barriques: Wenn Holz verwendet wird, dann meist alte Fässer oder große Foudres, die keine dominanten Holzaromen abgeben
Maischestandzeit bei Weißwein
Viele Natural Wine-Produzenten nutzen längere Maischestandzeiten auch bei Weißweinen, was zu Orange Wines führt. Die Trauben werden wie Rotweine vergoren – mit Schalen, Kernen und Stielen. Das verleiht dem Wein mehr Struktur, Tannine und eine orangene Farbe.
Geschmacksprofil
Natural Wines sind unberechenbar und vielfältig, aber es gibt einige charakteristische Merkmale:
Typische Aromen
- Hefig und funky: Durch Spontanvergärung können wilde Hefen ungewöhnliche Aromen erzeugen – von Brotteig über Joghurt bis zu leicht käsigen Noten
- Oxidative Noten: Ohne Schwefel kann der Wein leicht oxidieren, was zu Aromen von getrocknetem Apfel, Nüssen oder Sherry führt
- Fruchtbetont, aber nicht zu sauber: Die Frucht ist oft reifer, nicht so präzise und poliert wie bei konventionellen Weinen
- Erdig und mineralisch: Viele Natural Wines zeigen deutliche Terroir-Prägung und erdige Noten
Textur
Natural Wines haben oft mehr Textur und Grip als konventionelle Weine. Die fehlende Filtration lässt feine Sedimente im Wein, die ihm Körper und Struktur geben. Weißweine können durch Maischestandzeiten tanninhaltig werden, was ungewohnt sein kann, aber Komplexität verleiht.
Trübung
Viele Natural Wines sind trüb oder zeigen leichte Schwebeteilchen – das ist kein Fehler, sondern gewollt. Die Trübung zeigt, dass der Wein unfiltriert und "lebendig" ist.
Natural Wine vs. Bio- und Biodynamie
Natural Wine wird oft mit Bio- oder Biodynamie verwechselt, aber es gibt Unterschiede:
Bio-Wein
- Zertifiziert: Folgt EU-Bio-Verordnung mit klaren Regeln
- Weinberg: Keine synthetischen Pestizide/Herbizide
- Keller: Erlaubt viele önologische Hilfsmittel (Hefen, Schwefel bis 100 mg/l, Schönung, Filtration)
Biodynamischer Wein
- Zertifiziert: Demeter- oder Biodyvin-Zertifizierung
- Weinberg: Biologisch plus kosmische Zyklen, Präparate, Biodiversität
- Keller: Ähnlich wie Bio, aber mit zusätzlichen Einschränkungen
Natural Wine
- Nicht zertifiziert: Keine einheitliche Definition oder Regulierung
- Weinberg: Meist bio oder biodynamisch
- Keller: Minimale bis keine Zusätze, keine technischen Eingriffe
- Philosophie: Maximale Authentizität und Ausdruck
Ein Wein kann bio, biodynamisch und Natural zugleich sein – aber ein Bio-Wein ist nicht automatisch ein Natural Wine.
Kontroverse und Kritik
Natural Wine ist polarisierend. Befürworter feiern die Lebendigkeit und Authentizität, Kritiker bemängeln:
Qualitätsprobleme
Ohne Schwefel und Filtration sind Natural Wines anfälliger für Weinfehler wie Brett (Brettanomyces), Essigstich oder Mäuseln. Nicht alle Natural Wines sind gut gemacht – manche Weine sind schlicht fehlerhaft.
Fehlende Definition
Es gibt keine rechtliche Definition von Natural Wine. Jeder Winzer kann den Begriff verwenden, ohne Standards erfüllen zu müssen. Das macht es für Konsumenten schwer, echte Natural Wines zu erkennen.
"Funky" ist nicht für jeden
Die wilden, unkonventionellen Aromen sind Geschmackssache. Manche finden sie spannend, andere empfinden sie als störend oder gar fehlerhaft.
Preis
Natural Wines sind oft teuer, da die Produktion aufwendig ist (Handlese, niedrige Erträge, Spontangärung). Manche Kritiker sehen darin eine Lifestyle-Bewegung für urbane Hipsters.
Natural Wine und Haltbarkeit
Natural Wines ohne Schwefel sind anfälliger für Oxidation und mikrobiologischen Verfall. Deshalb sollten sie:
- Kühl gelagert werden (konstant unter 15°C)
- Dunkel aufbewahrt werden (Licht beschleunigt Oxidation)
- Nicht zu lange gelagert werden – viele Natural Wines sind für den baldigen Konsum gemacht (1-3 Jahre)
Es gibt Ausnahmen: Hochwertige Natural Wines mit guter Säure und Struktur können durchaus reifen, aber sie entwickeln sich anders als konventionelle Weine – oft in Richtung oxidativer, nussiger Aromen.
Wo findest du Natural Wines?
Natural Wines sind nicht im Supermarkt zu finden. Typische Orte:
- Spezialisierte Weinläden: Händler, die sich auf Natural Wines fokussieren
- Natural Wine Bars: Bars, die ausschließlich Natural Wines ausschenken (besonders in Berlin, Paris, Kopenhagen, New York)
- Direkt beim Winzer: Viele Natural Wine-Produzenten verkaufen nur ab Hof oder über kleine Importeure
- Online-Händler: Es gibt einige spezialisierte Online-Shops
Bekannte Natural Wine-Regionen und Produzenten
Frankreich
- Beaujolais: Marcel Lapierre, Yvon Métras, Jean Foillard
- Loire: Thierry Puzelat, La Coulée d'Ambroisie
- Jura: Pierre Overnoy, Domaine de la Tournelle
Italien
- Friaul: Radikon, Gravner (Pioniere des Orange Wine)
- Sizilien: Frank Cornelissen
- Emilia-Romagna: Denavolo
Österreich
- Wien & Burgenland: Christian Tschida, Meinklang, Gut Oggau
Deutschland
- Rheinhessen: Schmitt's Kinder
- Pfalz: Andreas Dilger
Food Pairing
Natural Wines sind vielseitige Essensbegleiter, besonders bei:
- Fermentierte Speisen: Kimchi, Sauerkraut, Miso – die funkigen Noten passen perfekt zusammen
- Charcuterie und Käse: Die Textur und Säure von Natural Wines harmonieren mit salzigen, fettigen Speisen
- Gemüse-lastige Küche: Natural Wines passen hervorragend zu vegetarischen und veganen Gerichten
- Asiatische Küche: Die Komplexität und Würze vieler Natural Wines ergänzt asiatische Aromen
Fazit
Natural Wine ist eine spannende, lebendige Bewegung, die den Wein zurück zu seinen Wurzeln bringt. Diese Weine sind authentisch, charaktervoll und oft unberechenbar – genau wie die Natur selbst. Ob du Natural Wines liebst oder nicht, hängt von deiner Offenheit für neue Geschmackserlebnisse und deiner Toleranz für "Imperfektion" ab.
Wer bereit ist, sich auf diese Weine einzulassen, wird mit unverwechselbaren Geschmackserlebnissen belohnt, die weit über das Glas hinaus Geschichten erzählen – vom Weinberg, vom Winzer und von der Natur.
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