Wein-Glossar

Textur - Das Mundgefühl des Weins

5. Dezember 2025
verkostungsensorikweinqualitätstruktur

Die Textur beschreibt das haptische Gefühl des Weins im Mund. Lernen Sie, wie man Körper, Struktur und Mundgefühl richtig bewertet.

Kurzdefinition

Die Textur bezeichnet das haptische, fühlbare Erlebnis des Weins im Mund – also nicht was er schmeckt, sondern wie er sich anfühlt. Sie umfasst Aspekte wie Körper, Gewicht, Viskosität, Cremigkeit, Adstringenz und die allgemeine Struktur des Weins.

Auf einen Blick:

  • Kategorie: Verkostung, Sensorik
  • Herkunft: Lateinisch "textura" (Gewebe, Struktur)
  • Synonyme: Mundgefühl, Körper, Struktur, Mouthfeel
  • Englisch: Texture, Mouthfeel, Body

Detaillierte Erklärung

Die Textur ist eine der am meisten unterschätzten Komponenten der Weinverkostung, dabei ist sie entscheidend für das Gesamterlebnis. Während Aromen und Geschmack chemische Sinneseindrücke sind, ist die Textur primär ein physikalisches Erlebnis, das durch den Tastsinn im Mund wahrgenommen wird.

Komponenten der Textur:

1. Körper (Body) Der Körper beschreibt das Gewicht und die Substanz des Weins im Mund. Er wird hauptsächlich durch Alkohol, Glycerin, Restzucker und Extrakt bestimmt.

  • Leichter Körper: Fühlt sich dünn, fast wässrig an (z.B. Vinho Verde, Muscadet)
  • Mittlerer Körper: Substanziell, aber nicht schwer (z.B. Pinot Noir, Grüner Veltliner)
  • Voller Körper: Füllt den Mund aus, fast dickflüssig (z.B. Châteauneuf-du-Pape, Amarone)

2. Viskosität Die Zähflüssigkeit des Weins, sichtbar an den "Kirchenfenstern" oder "Tränen" am Glasrand. Hoher Alkohol und Restzucker erhöhen die Viskosität.

3. Cremigkeit und Seidigkeit Eine samtige, weiche Textur, oft durch malolaktische Gärung bei Weißweinen oder gereifte Tannine bei Rotweinen erzeugt.

4. Adstringenz Das zusammenziehende, "pelzige" Gefühl im Mund, hauptsächlich durch Tannine in Rotweinen verursacht. Kann von samtweich bis hart-adstringierend reichen.

5. Schaumstruktur (bei Schaumweinen) Die Größe, Persistenz und Cremigkeit der Bläschen beeinflusst die Textur erheblich. Feine Perlage = elegante Textur.

6. Säurestruktur Säure gibt dem Wein Rückgrat und Frische. Sie erzeugt ein knackiges, belebendes Mundgefühl und lässt den Speichel fließen.

Chemische und physikalische Grundlagen:

  • Alkohol: Erhöht die Viskosität und gibt Körper, erzeugt ein wärmendes Gefühl
  • Glycerin: Macht den Wein runder, weicher, cremiger
  • Tannine: Binden an Mundschleimhautproteine, erzeugen Adstringenz
  • Säure: Aktiviert Speichelproduktion, gibt Struktur und Frische
  • CO2 (bei Schaumweinen): Erzeugt prickelndes, lebendiges Mundgefühl
  • Polysaccharide: Aus Hefeautolyse, erhöhen Cremigkeit und Fülle

Praktische Bedeutung

Im Glas

Die Textur ist oft der entscheidende Faktor, ob uns ein Wein wirklich gefällt oder nicht. Zwei Weine können aromatisch ähnlich sein, aber völlig unterschiedliche Texturen haben – und damit völlig unterschiedliche Trinkvergnügen bieten.

Beim Einkauf

Die Texturbeschreibung hilft bei der Weinauswahl: "Samtig", "seidig", "strukturiert", "kraftvoll" sind Hinweise auf die zu erwartende Textur. Wenn Sie zarte, elegante Weine bevorzugen, meiden Sie Beschreibungen wie "kraftvoll" oder "tanninbetont".

Bei der Verkostung

Professionelle Verkoster bewegen den Wein im Mund, um die Textur vollständig zu erfassen. Sie achten auf das Einsetzen der Textur (Antrunk), die Entwicklung (Mittelteil) und das Nachklingen der Textur im Abgang.

Beispiele & Anwendung

Texturbeschreibungen nach Weintyp

Leichte, ätherische Textur:

  • Mosel Riesling Kabinett: Filigran, fast schwebend, kristalline Säurestruktur
  • Beaujolais: Seidig, leicht, fruchtig-frisch ohne Schwere
  • Soave: Zart, mineralisch, mit lebendiger Frische

Mittlere, ausgewogene Textur:

  • Burgund Pinot Noir: Seidig-samtig mit elegantem Tannin
  • Chablis: Straff, mineralisch, mit knackiger Säure
  • Rioja Crianza: Geschmeidige Tannine mit würziger Note

Volle, kraftvolle Textur:

  • Barolo: Kraftvoll-tanninreich, adstringierend in der Jugend, samtig mit Reife
  • Amarone: Dicht, fast sirupartig, opulent
  • Châteauneuf-du-Pape: Vollmundig, vielschichtig, mit Druck und Substanz

Cremige, runde Textur:

  • Chardonnay (malolaktisch vergoren): Buttrig-cremig, voluminös
  • Champagner (lange Hefelager): Cremig-perlend mit feiner Mousse
  • Sauternes: Ölig-üppig, glycerinreich

Straffe, energische Textur:

  • Sancerre: Knackig, vibrierende Säure, nervös-mineralisch
  • Cava Brut Nature: Straff, klar, prickelnd
  • Grüner Veltliner: Knackig mit pfeffriger Würze

Praktische Tipps zur Texturbewertung

  1. Bewegung: Bewegen Sie den Wein im Mund, lassen Sie ihn alle Bereiche berühren – Zungenspitze, Seiten, Gaumen.

  2. Kauen: Profis "kauen" Wein, um die Textur vollständig zu erfassen und Tannine zu aktivieren.

  3. Speichelfluss: Achten Sie darauf, wie Ihr Mund reagiert. Fließt viel Speichel = hohe Säure. Trocknet der Mund aus = starke Tannine.

  4. Temperatur: Die Textur verändert sich mit der Temperatur. Zu kalte Weine fühlen sich härter und verschlossener an.

  5. Vergleich: Probieren Sie bewusst Weine mit unterschiedlichem Körper nacheinander – von leicht zu voll – um Ihr Texturbewusstsein zu schärfen.

Historischer Kontext

Die systematische Bewertung der Textur ist ein relativ junges Phänomen in der Weinverkostung. Während Geschmack und Aroma seit Jahrhunderten beschrieben wurden, fand die Textur erst im späten 20. Jahrhundert größere Beachtung.

Der kalifornische Weinboom der 1970er und 1980er Jahre brachte kraftvolle, hochalkoholische Weine hervor, die primär durch ihre üppige Textur auffielen. Dies führte zu einer neuen Wertschätzung texturaler Qualitäten.

Pioniere wie Robert Parker begannen, Textur explizit in ihren Verkostungsnotizen zu bewerten. Begriffe wie "chewy" (kaubar), "velvety" (samtig) oder "silky" (seidig) wurden Teil des Standard-Verkostungsvokabulars.

Die moderne Önologie hat die chemischen Grundlagen der Textur erforscht. Man versteht heute, wie Weinbereitungstechniken die Textur gezielt beeinflussen können: Maischestandzeit für Tanninstruktur, Barrique-Ausbau für Cremigkeit, Battonage (Hefeumrühren) für Körper.

Der aktuelle Trend geht zu eleganteren, ausgewogeneren Texturen mit moderaterem Alkohol, weg von den übertrieben kraftvollen Weinen der 1990er Jahre.

Länder- und regionsspezifische Besonderheiten

Frankreich: Franzosen unterscheiden präzise zwischen "corps" (Körper), "structure" (Struktur), und "texture" (Textur). Die burgundische Weinschule legt besonderen Wert auf Seidigkeit ("soie") als Qualitätsmerkmal.

Italien: "Struttura" (Struktur) und "corpo" (Körper) sind zentrale Bewertungskriterien. Italienische Spitzenweine wie Barolo und Brunello werden primär über ihre tanninreiche Textur definiert.

Deutschland: Der Begriff "Struktur" dominiert, besonders im Kontext der Säurestruktur bei Riesling. "Schmelz" beschreibt eine harmonische, nicht kantige Textur.

Spanien: "Estructura" und "cuerpo" sind wichtige Kriterien. Spanische Weine zeigen oft eine vom Barrique geprägte, vanillig-weiche Textur.

Englischsprachiger Raum: "Mouthfeel" und "texture" werden synonym verwendet. Amerikanische Kritiker entwickelten kreative Beschreibungen wie "chewy" (kaubar), "plush" (plüschig), "racy" (rassig).

Neue Welt: Australien und Kalifornien waren lange bekannt für kraftvolle, hochalkoholische Weine mit üppiger Textur. Der Trend geht aber zunehmend zu eleganteren Stilen.

Verwandte Begriffe & Verlinkungen

  • Tannine: Die wichtigste Komponente für die Textur von Rotweinen; verantwortlich für Struktur und Adstringenz.

  • Adstringenz: Das zusammenziehende Mundgefühl, ein zentraler Aspekt der Textur bei tanninreichen Weinen.

  • Körper: Der Teilaspekt der Textur, der das Gewicht und die Substanz des Weins beschreibt.

  • Säure: Gibt dem Wein Rückgrat und eine frische, lebendige Textur.

  • Abgang: Die Textur spielt auch im Abgang eine wichtige Rolle – wie fühlt sich der Wein an, nachdem man ihn geschluckt hat?

  • Barrique: Holzfassausbau beeinflusst die Textur durch Tannine und Mikrooxidation.

Häufige Fragen & Missverständnisse

Frage: Ist eine vollmundige Textur immer besser als eine leichte?

Antwort: Nein, das ist eine Frage des persönlichen Geschmacks und des Kontexts. Ein kraftvoller Amarone ist perfekt zu einem deftigen Wintergericht, aber viel zu schwer für einen Sommerabend oder filigrane Meeresfrüchte. Leichte Texturen können genauso raffiniert und komplex sein wie volle – denken Sie an einen großen Mosel Riesling.

Frage: Warum fühlen sich manche Weine ölig oder dickflüssig an?

Antwort: Das liegt meist an hohem Glyceringehalt und/oder Restzucker sowie hohem Alkohol. Bei edelsüßen Weinen wie Sauternes oder Trockenbeerenauslesen ist diese ölige Textur erwünscht. Bei trockenen Weinen kann es auf Botrytis-Einfluss oder sehr reife Trauben hindeuten.

Frage: Verändert sich die Textur mit der Reife?

Antwort: Ja, erheblich! Junge Rotweine haben oft harte, kantige Tannine, die eine raue Textur erzeugen. Mit der Reife polymerisieren die Tannine, werden größer und weicher – die Textur wird samtig. Auch Säure wird mit der Zeit harmonischer eingebunden.

Frage: Warum ziehen manche Weine im Mund zusammen?

Antwort: Das ist Adstringenz, verursacht durch Tannine, die an Speichelproteine binden. Dieser Effekt ist bei jungen, tanninreichen Rotweinen stark ausgeprägt. Er ist kein Fehler, sondern ein natürlicher Bestandteil der Textur, der mit Reife abnimmt.

Frage: Kann man die Textur durch Dekantieren verändern?

Antwort: Ja, teilweise. Durch Belüftung können sich harte Tannine etwas öffnen und die Textur weicher werden. Allerdings sind die Veränderungen begrenzt – ein grundlegend rauer Wein wird nicht plötzlich seidig.

Expertentipp

Die Textur ist oft der beste Indikator für die Qualität der Speisenbegleitung. Vergessen Sie die alte Regel "Rotwein zu Fleisch, Weißwein zu Fisch" – matchen Sie stattdessen die Textur des Weins mit der Textur des Gerichts!

Praktische Matching-Regeln:

  • Cremige Gerichte (Risotto, Sahnesaucen): Cremige, runde Weine mit malolaktischer Gärung
  • Knackige, frische Salate: Straffe Weißweine mit vibrierender Säure
  • Zartes Fleisch (Kalb, Huhn): Seidige Rotweine mit feinen Tanninen
  • Deftiges Schmorfleisch: Kraftvolle Rotweine mit kräftiger Tanninstruktur
  • Fettreicher Fisch (Lachs, Thunfisch): Mittlerer Körper mit guter Säure

Mein persönlicher Geheimtipp: Wenn Sie Ihre Texturwahrnehmung trainieren möchten, machen Sie eine "horizontale" Verkostung – probieren Sie denselben Wein bei verschiedenen Temperaturen (8°C, 12°C, 16°C, 20°C). Sie werden erstaunt sein, wie sehr sich die Textur verändert. Zu kalt = hart und verschlossen, zu warm = alkoholisch und schlaff. Die perfekte Temperatur lässt die Textur harmonisch wirken.