Wein-Glossar

Maischestandzeit - Schalenkontakt bei der Weinbereitung

9. Dezember 2025
weinbereitungrotweingaerungtannineextraktionfarbe

Die Maischestandzeit ist die Dauer des Schalenkontakts während der Rotwein-Gärung und bestimmt Farbe, Tanninstruktur und Aromaintensität des Weins.

Kurzdefinition

Maischestandzeit (auch Maischestanddauer oder Schalenkontaktzeit) bezeichnet die Zeitspanne, während der bei der Weinbereitung der Most bzw. gärende Wein Kontakt mit den festen Traubenbestandteilen (Schalen, Kerne, eventuell Stiele) hat. Sie ist entscheidend für die Extraktion von Farbstoffen, Tanninen und Aromen – besonders bei Rotwein.

Auf einen Blick:

  • Kategorie: Weinbereitung, Gärung, Extraktion
  • Relevanz: Primär Rotwein, auch Orange Wine
  • Dauer: 3-60 Tage (je nach Stil und Rebsorte)
  • Effekt: Bestimmt Farbe, Tanninstruktur, Körper, Aromen
  • Synonyme: Schalenkontaktzeit, Mazerationszeit, Mazeration
  • Englisch: Maceration time, Skin contact time

Detaillierte Erklärung

Die Maischestandzeit beginnt mit dem Zerdrücken der Trauben und endet mit dem Abpressen des Weins von den festen Bestandteilen. Während dieser Zeit werden aus Schalen, Kernen und ggf. Stielen verschiedene Substanzen extrahiert:

Was wird extrahiert?

1. Farbstoffe (Anthocyane)

  • Konzentriert in der Beerenschale
  • Verleihen Rotwein seine Farbe (rubinrot bis violett-schwarz)
  • Extraktion beginnt sofort, Maximum nach 3-7 Tagen

2. Tannine (Gerbstoffe)

  • Aus Schalen (feinkörnig, qualitativ hochwertig)
  • Aus Kernen (härter, bitterer – bei zu langer Extraktion problematisch)
  • Aus Stielen (grün, bitter – nur bei Ganzttraubenvergärung)
  • Extraktion langsamer als Farbstoffe, steigt kontinuierlich

3. Aromastoffe

  • Fruchtaromen aus der Schale
  • Würzaromen (je nach Sorte)
  • Komplexität nimmt mit Standzeit zu

4. Textur und Körper

  • Glycerin, Polysaccharide
  • Verleihen dem Wein Fülle und Struktur

Der Prozess:

Phase 1: Vor-Gärung-Mazeration (Kaltmazeration, optional)

  • 3-7 Tage bei ca. 10-15°C, vor Gärungsbeginn
  • Extraktion von Aromen und Farbstoffen ohne Alkohol
  • Sanfte, fruchtige Extraktion
  • Beliebt bei Pinot Noir und Syrah

Phase 2: Gärung mit Schalenkontakt

  • 5-30 Tage bei 20-30°C
  • Alkohol entsteht, wirkt als Lösungsmittel
  • Intensive Extraktion von Farbe, Tanninen, Aromen
  • Regelmäßiges Umpumpen oder Unterstoßen (Pigeage) hält Trester feucht

Phase 3: Nach-Gärung-Mazeration (optional)

  • Nach Ende der Gärung, Wein bleibt noch auf der Maische
  • Extraktion von weiteren Tanninen und Struktur
  • Macht Wein voller, komplexer, aber auch tanninreicher

Faktoren, die die Extraktion beeinflussen:

  • Temperatur: Höher = schnellere, intensivere Extraktion
  • Alkoholgehalt: Alkohol ist besseres Lösungsmittel als Wasser
  • Mechanische Einwirkung: Pigeage, Umpumpen, Délestage erhöhen Extraktion
  • Rebsorte: Dicke Schalen (Cabernet) brauchen länger als dünne (Pinot Noir)
  • Traubenreife: Reife Trauben geben Tannine leichter ab

Praktische Bedeutung

Im Glas

Die Maischestandzeit zeigt sich direkt im Wein:

Kurze Maischestandzeit (3-7 Tage):

  • Hellere Farbe (rubinrot, granatrot)
  • Geringere Tanninstruktur, weicher
  • Fruchtbetont, leichter Körper
  • Beispiel: Beaujolais, leichter Spätburgunder

Mittlere Maischestandzeit (10-20 Tage):

  • Intensivere Farbe (tief rubinrot)
  • Ausgewogene Tanninstruktur
  • Balance zwischen Frucht und Struktur
  • Beispiel: Die meisten modernen Rotweine

Lange Maischestandzeit (25-60 Tage):

  • Sehr dunkle Farbe (fast schwarz)
  • Kraftvolle, präsente Tannine
  • Voller Körper, hohe Komplexität
  • Lagerfähig
  • Beispiel: Barolo, Amarone, manche kalifornischen Cabernets

Im Weinkeller

Winzer steuern die Maischestandzeit gezielt, um den gewünschten Weinstil zu erreichen:

Kurze Standzeit für:

  • Leichte, fruchtige Rotweine
  • Weine für frühen Konsum
  • Vermeidung von zu harten Tanninen bei unreifen Trauben
  • Sortencharakter betonen (Frucht vor Struktur)

Lange Standzeit für:

  • Kraftvolle, lagerfähige Weine
  • Komplexe, strukturierte Rotweine
  • Maximale Extraktion bei dickhäutigen Sorten
  • Weine für Barrique-Ausbau (brauchen Tanningerüst)

Techniken zur Steuerung der Extraktion:

1. Pigeage (Unterstoßen)

  • Traditionell mit Holzstempel
  • Drückt Tresterhut (schwimmende Schalen) nach unten
  • Intensive, aber schonende Extraktion
  • Häufig in Burgund (Pinot Noir)

2. Remontage (Umpumpen)

  • Wein wird von unten abgezogen und über Trester gepumpt
  • Hält Trester feucht, fördert Extraktion
  • Kann Sauerstoff zuführen
  • Standard bei den meisten Rotweinen

3. Délestage (Rack and Return)

  • Wein wird komplett abgezogen, Trester fällt zusammen
  • Wein wird zurückgepumpt
  • Sanftere Extraktion als Pigeage
  • Gut für elegante Weine

4. Rotofermenter

  • Drehbare Gärtanks
  • Kontinuierliche sanfte Bewegung
  • Gleichmäßige Extraktion
  • Modern, effizient

Bei der Verkostung

Erkennen Sie die Maischestandzeit am Wein:

  • Farbe: Je dunkler, desto länger (tendenziell)
  • Tanninstruktur: Kräftige Tannine = lange Standzeit
  • Körper: Voller Körper = längere Standzeit
  • Frucht vs. Struktur: Fruchtbetont = kurz, strukturbetont = lang

Beispiele & Anwendung

Rebsorten und typische Maischestandzeiten

Kurze Standzeit (3-10 Tage):

Gamay (Beaujolais)

  • 3-5 Tage, oft mit Kohlensäuremaischung
  • Ziel: Fruchtige, leichte Weine ohne viel Tannin
  • Beaujolais Nouveau: 4-5 Tage

Pinot Noir (leichter Stil)

  • 7-12 Tage
  • Dünne Schalen, wenig Tannin natürlicherweise
  • Ziel: Seidige Textur, Frucht bewahren

Mittlere Standzeit (10-20 Tage):

Pinot Noir (Burgund, gehobene Qualität)

  • 12-18 Tage mit Vor- und Nachgärung-Mazeration
  • Kaltmazeration 5 Tage + Gärung 10 Tage + Nachmazeration 3 Tage

Merlot

  • 12-18 Tage
  • Weiche Tannine, fruchtig
  • Zu lange Standzeit kann überextrahieren

Tempranillo

  • 14-20 Tage
  • Ausgewogene Struktur, nicht zu hart

Blaufränkisch

  • 12-20 Tage
  • Würzige Noten, kräftige aber feine Tannine

Lange Standzeit (20-60 Tage):

Nebbiolo (Barolo, Barbaresco)

  • 20-40 Tage, teilweise bis 60 Tage
  • Sehr tanninreich, braucht lange Extraktion für Balance
  • Traditionelle Barolo-Produzenten: 30-50 Tage

Cabernet Sauvignon

  • 18-30 Tage
  • Dicke Schalen, hohe Tannine
  • Bei Top-Weinen oft 25-30 Tage

Syrah

  • 15-25 Tage
  • Kräftige Struktur, dunkle Frucht
  • Nordrhône (Côte-Rôtie, Hermitage): 20-25 Tage

Amarone

  • 30-60 Tage
  • Getrocknete Trauben (Appassimento)
  • Sehr konzentriert, braucht lange Extraktion

Regionale Unterschiede

Burgund (Pinot Noir):

  • Kaltmazeration vor Gärung (3-5 Tage)
  • Gärung mit Schalenkontakt (10-12 Tage)
  • Nachgärung-Mazeration (2-4 Tage)
  • Total: 15-21 Tage
  • Ziel: Seidige Tannine, komplexe Aromen

Bordeaux (Cabernet, Merlot):

  • Keine Kaltmazeration (traditionell)
  • Gärung 10-15 Tage
  • Nachgärung-Mazeration 5-10 Tage
  • Total: 15-25 Tage
  • Moderne Châteaux: Bis 30 Tage

Barolo (Nebbiolo):

  • Traditionell: 30-50 Tage, sehr lange
  • Modern: 20-30 Tage
  • Diskussion: Lange Standzeit = mehr Tradition, aber evtl. zu hart

Beaujolais (Gamay):

  • Kohlensäuremaischung: 4-10 Tage
  • Keine klassische Maischegärung
  • Ganze Trauben, Gärung in der Beere
  • Resultat: Fruchtbetont, niedrige Tannine

Kalifornien (Cabernet Sauvignon):

  • Oft sehr lange: 25-35 Tage
  • Ziel: Maximale Extraktion, voller Körper
  • Kraftvolle, dunkle, tanninreiche Weine

Orange Wine (Weißwein mit Schalenkontakt)

Orange Wines sind Weißweine, die wie Rotweine mit Schalenkontakt vergoren werden:

  • Standzeit: 1-12 Monate (!)
  • Effekt: Orange Farbe, Tanninstruktur, intensive Aromen
  • Beispiel: Georgischer Qvevri-Wein (6 Monate Schalenkontakt)

Historischer Kontext

Die Maischestandzeit wurde historisch weniger präzise gesteuert. Wein vergärte einfach, bis die Gärung fertig war – das konnten 10 Tage oder 30 Tage sein, je nach Temperatur und Hefen.

Mit der modernen Önologie (ab 19. Jahrhundert) erkannte man den Zusammenhang zwischen Standzeit und Extraktion. Der französische Chemiker Louis Pasteur legte die wissenschaftlichen Grundlagen.

Im 20. Jahrhundert entwickelten sich zwei Schulen:

1. Traditionell (lange Standzeit)

  • Barolo: 30-60 Tage
  • Ziel: Maximale Extraktion, lagerfähige Weine
  • Problem: Oft zu hart, zu tanninreich in der Jugend

2. Modern (mittlere Standzeit, kontrollierte Extraktion)

  • Kontrolle über Temperatur und Dauer
  • Ziel: Balance zwischen Frucht und Struktur
  • Resultat: Zugänglichere Weine, die jünger trinkbar sind

Der "Modernisierungskonflikt" in Barolo (1980er-2000er) drehte sich genau um dieses Thema: Traditionalisten verteidigten 40-50 Tage Standzeit, Modernisten reduzierten auf 20-25 Tage. Heute gibt es beide Stile nebeneinander.

Länder- und regionsspezifische Besonderheiten

Frankreich: Präzise Steuerung, wissenschaftlicher Ansatz. Burgund und Bordeaux haben sehr definierte Protokolle entwickelt.

Italien: Traditionell sehr lange Standzeiten (Barolo, Amarone). Moderne Produzenten verkürzen oft, um zugänglichere Weine zu machen.

Spanien: Rioja traditionell 10-15 Tage (Tempranillo). Ribera del Duero oft länger (18-25 Tage) für kraftvollere Weine.

Deutschland/Österreich: Bei Spätburgunder/Blaufränkisch meist 10-18 Tage. Fokus auf Frucht und Eleganz, nicht auf maximale Extraktion.

Kalifornien/Australien: Tendenz zu langen Standzeiten (25-35 Tage) für kraftvolle, dunkle, tanninreiche Weine. "Extraction equals quality" war lange Motto (heute mehr Differenzierung).

Georgien: Extrembeispiel bei Orange Wine – 6-12 Monate Schalenkontakt in Qvevri (Tonamphoren).

Verwandte Begriffe & Verlinkungen

  • Tannine: Hauptprodukt der Maischestandzeit – längere Standzeit = mehr Tannine.

  • Phenolreife: Entscheidet über die Qualität der extrahierten Tannine. Bei unreifer Phenolreife sollte Standzeit kürzer sein.

  • Pigeage: Technik zum Unterstoßen des Tresterhuts – beeinflusst Extraktion.

  • Remontage: Umpumpen des Weins über den Trester.

  • Kaltmazeration: Vor-Gärung-Schalenkontakt bei niedriger Temperatur.

  • Délestage: Schonende Extraktionstechnik (Rack and Return).

  • Anthocyane: Farbstoffe, die während der Maischestandzeit extrahiert werden.

Häufige Fragen & Missverständnisse

Frage: Ist längere Maischestandzeit immer besser?

Antwort: Nein! Es kommt auf den gewünschten Stil an. Ein Beaujolais soll leicht und fruchtig sein (kurze Standzeit), ein Barolo kraftvoll und lagerfähig (lange Standzeit). Zudem kann zu lange Standzeit zu Überextraktion führen (zu viel Bitterkeit, harte Tannine von Kernen).

Frage: Warum haben Weißweine keine Maischestandzeit?

Antwort: Die meisten Weißweine werden sofort gepresst, der Saft vergärt ohne Schalenkontakt. Daher sind Weißweine heller, tanninfrei und fruchtiger. Ausnahme: Orange Wines – Weißweine mit Schalenkontakt, die dadurch tanninreich und orange gefärbt sind.

Frage: Kann man durch längere Standzeit die Farbe nachträglich intensivieren?

Antwort: Die Farbextraktion ist relativ schnell (3-7 Tage). Länger als 10-15 Tage bringt kaum noch mehr Farbe, aber deutlich mehr Tannine. Wenn die Farbe fehlt, liegt es meist an der Rebsorte, Ertragsreduzierung oder Traubenreife – nicht an zu kurzer Standzeit.

Frage: Was passiert, wenn man zu lange mazeriert?

Antwort: Überextraktion: Zu viele Tannine, besonders aus Kernen (bitter, hart). Der Wein wird unbalanciert, adstringierend, bitter. Außerdem können Fehltöne entstehen. Bei sehr langer Mazeration (über 40 Tage) besteht auch Oxidationsgefahr.

Frage: Brauchen alle tanninreichen Rebsorten lange Standzeit?

Antwort: Nicht zwingend. Manche Rebsorten (z.B. Tannat, Nebbiolo) haben von Natur aus sehr hohe Tannine und brauchen lange Standzeit für Balance. Andere (z.B. Pinot Noir) haben wenig Tannin – lange Standzeit würde zu Überextraktion führen.

Expertentipp

Die Maischestandzeit ist eines der wichtigsten Werkzeuge des Winzers. Sie erkennen den Effekt direkt im Glas: Ein hell-rubinroter, fruchtiger Pinot Noir hatte wahrscheinlich 10-12 Tage Schalenkontakt. Ein tief-dunkler, kraftvoller Barolo hatte 30-40 Tage.

Praktischer Tipp für Weinliebhaber:

  • Sie mögen leichte, fruchtige Rotweine? Suchen Sie nach Weinen mit kurzer Mazeration: Beaujolais, junger Spätburgunder, leichter Zweigelt.
  • Sie mögen kraftvolle, strukturierte Rotweine? Wählen Sie Weine mit langer Mazeration: Barolo, Amarone, kalifornischer Cabernet, Châteauneuf-du-Pape.

Für Winzer und Enthusiasten: Die Entscheidung über die Maischestandzeit hängt primär von der Phenolreife ab. Unreife Tannine sollten nicht zu lange extrahiert werden – lieber kürzer mazerieren und auf Qualität statt Quantität setzen. Reife, seidige Tannine können länger extrahiert werden und verleihen dem Wein Struktur und Lagerpotenzial.

Faustregel: Je dicker die Schale und je mehr Tannin die Sorte natürlicherweise hat, desto länger die Standzeit. Je dünner die Schale (Pinot Noir, Gamay), desto kürzer.