Valpolicella
Valpolicella ist die Wiege des legendären Amarone. Erfahre alles über die Weinregion bei Verona, ihre Stile von Classico bis Ripasso und die Appassimento-Tradition.
Die Heimat des Amarone
Valpolicella – der Name allein weckt bei Weinliebhabern Assoziationen von konzentrierten Rotweinen, getrockneten Kirschen und der magischen Appassimento-Technik. Diese malerische Hügellandschaft nördlich von Verona im Veneto ist die Geburtsstätte des legendären Amarone della Valpolicella, einem der langlebigsten und komplexesten Rotweine Italiens.
Doch Valpolicella ist weit mehr als nur Amarone: Die Region produziert eine beeindruckende Bandbreite an Rotweinen – von leichten, frischen Alltagsweinen über würzige Ripasso-Weine bis zu opulenten, süßen Recioto-Tropfen. Das verbindende Element: die autochthone Rebsorte Corvina, die Seele jedes Valpolicella.
Geografie & Klima
Lage
Valpolicella liegt im Nordosten Italiens, etwa 15 Kilometer nördlich der Stadt Verona, zwischen dem Gardasee im Westen und dem Etschtal im Osten. Der Name bedeutet "Tal der vielen Keller" (vom lateinischen "vallis-polis-cellae") – ein Hinweis auf die jahrhundertealte Weinbautradition.
Die Region erstreckt sich von den Ausläufern der Lessini-Berge (Voralpen) bei 450-500 Metern Höhe hinab bis zur Ebene bei etwa 100 Metern. Diese Höhenunterschiede prägen die unterschiedlichen Weincharaktere erheblich.
Zonen
Valpolicella gliedert sich in drei Hauptzonen:
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Valpolicella Classico (westlich): Das historische Herzstück mit den besten Lagen. Hier liegen die fünf traditionellen Täler: Fumane, Marano, Negrar, Sant'Ambrogio und San Pietro in Cariano. Steile Hänge, kalkhaltige Böden, optimale Exposition – die Crème de la Crème der Valpolicella.
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Valpolicella Valpantena (zentral): Ein eigenes Seitental mit ähnlichem Klima und Böden wie die Classico-Zone, etwas kühler und frischer.
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Erweiterte Zone (östlich): Seit 1968 offiziell zur DOC gehörig, aber flacher und wärmer. Hier entstehen meist einfachere, zugänglichere Weine.
Klima
Das Klima ist kontinental mit mediterranen Einflüssen:
- Sommer: Warm, aber nicht heiß (Durchschnitt 25-28°C im Juli/August), gemäßigt durch die Höhenlage und kühlende Winde vom Gardasee
- Herbst: Lang, trocken und mild – ideal für die späte Reife der Corvina und die anschließende Trocknung der Trauben
- Winter: Kühl, aber selten streng kalt; Schnee in höheren Lagen
- Frühling: Wechselhaft, mit gelegentlichem Spätfrost in Tallagen
Die Niederschläge liegen bei etwa 800-1.000 mm jährlich, gut verteilt, aber mit einem Schwerpunkt im Frühjahr und Herbst. Die Berge schützen vor kalten Nordwinden, während der Gardasee als Wärmespeicher wirkt und die Temperaturen puffert.
Die Ora del Garda – eine konstante, leichte Nachmittagsbrise vom See – sorgt für Luftzirkulation in den Weinbergen, reduziert Krankheitsdruck und hilft, die Trauben gesund zu halten. Dieser Wind ist ein entscheidender Faktor für die Qualität der Valpolicella-Weine.
Böden
Die Böden sind vielfältig und prägen den Charakter der Weine:
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Kalkstein dominiert in den höheren Lagen der Classico-Zone. Er speichert Wärme, reflektiert Licht und verleiht den Weinen Eleganz, Mineralität und Struktur.
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Mergel und Ton in mittleren Lagen bieten gute Wasserspeicherung und etwas mehr Körper.
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Vulkanische Böden (Basalt) finden sich in Teilen der Lessini-Berge und bringen Würze und Tiefe.
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Schwemmlandböden in tieferen, flacheren Lagen sind fruchtbarer, aber weniger konzentriert – hier entstehen meist einfachere Valpolicella.
Die besten Weine stammen fast immer von den kalkhaltigen Hängen der Classico-Zone, wo die Reben um Wasser und Nährstoffe kämpfen müssen und dadurch konzentrierte, aromatische Trauben liefern.
Rebsorten
Valpolicella ist ein Verschnittgebiet – Einzelsorten-Weine sind die Ausnahme. Die DOC/DOCG-Vorschriften definieren folgende Zusammensetzung:
Hauptrebsorten
Corvina (45-95%): Die Königin der Valpolicella. Liefert leuchtende Kirschfrucht, moderate Tannine, erfrischende Säure und die charakteristische Bittermandel-Note im Abgang. Ihre dicke Schale macht sie ideal für die Appassimento-Trocknung. Sie ist die Seele jedes Valpolicella.
Rondinella (5-30%): Der traditionelle Partner der Corvina. Bringt Farbe, Körper und runde Frucht, aber weniger Charakter als Corvina. Wichtig für die Struktur, besonders bei Amarone.
Corvinone (max. 50%, kann Corvina ersetzen): Lange als Corvina-Klon angesehen, heute als eigenständige Sorte anerkannt. Größere Beeren, mehr Tannin und Extrakt, weniger Säure. Wird zunehmend in Premium-Amarone geschätzt.
Ergänzende Sorten
Molinara (max. 25%): Früher häufig verwendet, heute seltener. Liefert Frische und Helligkeit, aber kann die Farbe verwässern.
Andere Sorten (max. 15%): Erlaubt sind auch Negrara, Oseleta (alte, tanninreiche Sorte, erlebt ein Revival) und internationale Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot – aber nur in kleinen Mengen.
Weinstile
Die Vielfalt der Valpolicella ist beeindruckend – von jung zu trinkenden Alltagsweinen bis zu monumentalen, jahrzehntelang lagerfähigen Gewächsen:
1. Valpolicella DOC
Der Einstieg: Ein frischer, fruchtbetonter Rotwein mit lebendiger Kirschfrucht, moderaten Tanninen und erfrischender Säure. Alkoholgehalt meist 11-12,5%.
Stil: Transparent, hell-rubinrot, jugendlich, unkompliziert Aromen: Frische rote Kirschen, Sauerkirschen, florale Noten (Veilchen) Trinkreife: 1-3 Jahre Passt zu: Pizza, Pasta mit Tomatensauce, gegrilltes Gemüse
Der klassische Valpolicella ist leicht, aber nicht leichtgewichtig – bei guten Produzenten aus der Classico-Zone zeigt er erstaunliche Tiefe und Eleganz.
2. Valpolicella Superiore DOC
Ein Schritt höher: Mindestens ein Jahr Reifung (davon 6 Monate im Holz) und 12% Alkohol. Mehr Konzentration, Struktur und Komplexität als der Basis-Valpolicella.
Stil: Tieferes Rubinrot, mehr Körper, feinere Tannine Aromen: Reife Kirsche, Gewürze (Zimt, Nelke), Kräuter Trinkreife: 3-5 Jahre Passt zu: Risotto, geschmortes Fleisch, Hartkäse
3. Valpolicella Ripasso DOC
Das "Mittelding" zwischen klassischem Valpolicella und Amarone – und eine der faszinierendsten Weinbereitungsmethoden Italiens:
Die Methode: Junger Valpolicella wird im Winter über die noch warmen Trester (Schalen, Kerne) des frisch gepressten Amarone oder Recioto gegeben und nachgegoren (ripasso = "nochmal durchgehen"). Dabei nimmt er zusätzliche Aromen, Extrakt, Farbe, Tannine und Alkohol auf.
Das Resultat: Ein Wein mit der Frische des Valpolicella und einem Hauch der Opulenz des Amarone – kraftvoller als normaler Valpolicella, aber zugänglicher und erschwinglicher als Amarone.
Stil: Tiefrot bis Granatrot, mittlerer bis voller Körper, samtig Alkohol: 13-14,5% Aromen: Reife Kirsche, getrocknete Pflaumen, Schokolade, Gewürze, Bittermandel Trinkreife: 3-8 Jahre, bessere Weine auch länger Passt zu: Rinderbraten, Wildgerichte, gegrilltes Fleisch, gereifter Käse
Ripasso ist der Geheimtipp der Valpolicella – oft hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis und ein perfekter Einstieg in die Appassimento-Welt.
4. Amarone della Valpolicella DOCG
Der Superstar – einer der kraftvollsten, komplexesten und langlebigsten Rotweine Italiens.
Die Methode: Nach der späten Handlese (Oktober) werden die besten Trauben auf Strohmatten oder Holzkisten in belüfteten Räumen für 3-4 Monate getrocknet. Sie verlieren bis zu 40% ihres Gewichts, Zucker und Aromen konzentrieren sich dramatisch. Die Vergärung erfolgt langsam, oft bei kühlen Temperaturen, und der Wein reift mindestens 2 Jahre (Amarone Riserva: 4 Jahre) in großen Holzfässern oder Barriques.
Stil: Tiefes Granatrot, voller bis sehr voller Körper, samtig, fast ölig Alkohol: 15-17% Aromen: Dörrpflaume, Kirschkompott, Schokolade, Kaffee, Tabak, süße Gewürze (Zimt, Nelke), Leder, Bittermandel Trinkreife: 5-10 Jahre, Top-Weine 20-30+ Jahre Passt zu: Ossobuco, Brasato al Amarone (Rinderbraten im Amarone geschmort), gereifter Parmigiano Reggiano, dunkle Schokolade
Amarone ist kein Wein für jeden Tag – er ist mächtig, komplex, teuer und braucht Zeit. Aber ein gut gereifter Amarone ist eine der erhabensten Weinerfahrungen überhaupt.
5. Recioto della Valpolicella DOCG
Der süße Bruder des Amarone – historisch die älteste Form des Valpolicella und der Ursprung der Appassimento-Tradition.
Die Methode: Dieselbe Trocknung wie bei Amarone, aber die Gärung wird vorzeitig gestoppt, sodass Restzucker übrig bleibt (meist 8-12%). Das Ergebnis ist ein süßer, samtiger, komplexer Rotwein mit 12-14% Alkohol.
Stil: Tiefrot bis braunrot, ölig, süß, aber nicht klebrig Aromen: Schokolade, getrocknete Feigen, Rosinen, Kirschkompott, Gewürzkuchen, Kaffee Trinkreife: Kann jung getrunken werden, aber hochwertige Recioto altern 10-20 Jahre Passt zu: Schokoladendesserts, Blauschimmelkäse (Gorgonzola), Panettone, geröstete Nüsse
Der Name "Recioto" stammt vom Dialektwort "recie" (Ohren) – die oberen, seitlichen Teile der Traube, die am meisten Sonne abbekommen und am süßesten werden.
Geschichte & Tradition
Die Weinbautradition der Valpolicella reicht bis zu den Römern zurück, die hier bereits Weine aus getrockneten Trauben ("Recioto") produzierten. Der römische Schriftsteller Cassiodorus erwähnte im 6. Jahrhundert die Weine der Region als "Acinatico" – vermutlich ein Vorläufer des Recioto.
Im Mittelalter blühte der Weinbau unter venezianischer Herrschaft. Die Technik der Traubentrocknung wurde verfeinert, Recioto galt als Festtagswein der Adligen und Kaufleute.
Der Amarone entstand erst im 20. Jahrhundert – und zwar aus Versehen: Ein Recioto wurde zu lange vergoren und trocken. Was als Fehler begann, wurde zur Sensation. Der erste dokumentierte Amarone stammt aus den 1930er Jahren (Weingut Quintarelli und andere), aber erst in den 1950-60er Jahren wurde er gezielt produziert und gewann internationale Bekanntheit.
Der Name "Amarone" leitet sich von "amaro" (bitter) ab – ein Kontrast zum süßen Recioto. Ursprünglich hieß der Wein "Recioto Amarone", später wurde der Name auf "Amarone della Valpolicella" verkürzt.
In den 1980er und 1990er Jahren erlebte Valpolicella eine Qualitätsrevolution: Fokus auf niedrigere Erträge, sorgfältigere Traubenauswahl, moderne Kellertechnik bei gleichzeitiger Bewahrung traditioneller Methoden. Heute ist Valpolicella eine der dynamischsten und qualitätsbewusstesten Regionen Italiens.
Ripasso als eigenständige Kategorie wurde erst 2007 offiziell als DOC anerkannt, obwohl die Technik schon seit Jahrhunderten praktiziert wurde.
Herausforderungen & Trends
Herausforderungen
- Klimawandel: Wärmere, trockenere Sommer führen zu höherem Alkohol und weniger Säure – eine Herausforderung für die Balance
- Amarone-Dominanz: Der Erfolg des Amarone hat viele Produzenten dazu verleitet, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, während klassischer Valpolicella vernachlässigt wird
- Massenproduktion: Die erweiterte Zone produziert viel einfachen Valpolicella, der dem Ruf der Region schadet
- Preisdruck: Amarone ist teuer in der Produktion, steht aber in Konkurrenz zu internationalen Spitzenweinen
Trends
- Rückbesinnung auf Klassik: Viele Top-Produzenten machen wieder hervorragenden klassischen Valpolicella – elegant, trinkbar, mit Terroir-Ausdruck
- Corvinone-Renaissance: Die Wiederentdeckung dieser Sorte bringt mehr Struktur und Originalität
- Biologischer Anbau: Zunehmend mehr Weingüter arbeiten biologisch oder biodynamisch
- Moderne Amarone-Stile: Einige Produzenten experimentieren mit kürzerer Trocknungszeit, weniger Holz, mehr Frische – eine Gegenbewegung zum opulenten Stil
Produzenten-Highlights
Einige Namen, die man kennen sollte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Legenden: Giuseppe Quintarelli (†2012, seine Weine sind Ikonen), Dal Forno Romano (opulent, kraftvoll, polarisierend)
Klassiker: Allegrini, Masi, Tedeschi, Tommasi, Speri, Zenato
Moderne Stile: Marion, Corte Sant'Alda, Monte dall'Ora, Trabucchi
Geheimtipps: Le Salette, Ca' La Bionda, Musella, Villa Bellini
Fazit
Valpolicella ist weit mehr als nur die Heimat des Amarone – es ist eine Region mit einer beeindruckenden Bandbreite an Rotweinen, tief verwurzelt in der Tradition, aber offen für Innovation. Von frischen, leichten Alltagsweinen bis zu monumentalen, jahrzehntelang lagerfähigen Gewächsen bietet die Region für jeden Geschmack und Anlass etwas.
Die Appassimento-Technik, die hier zur Perfektion gebracht wurde, ist eine der faszinierendsten Weinbereitungsmethoden der Welt. Und die Rebsorte Corvina ist eine der unterschätztesten Italiens – mit ihrem unverwechselbaren Charakter aus frischer Kirschfrucht, eleganter Säure und der charakteristischen Bittermandel-Note.
Wer Valpolicella versteht, versteht ein Stück italienische Weinseele.
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