Wein-Glossar

Mutation

4. Dezember 2025
rebsortengenetikweinbauwissenschaft

Mutation im Weinbau: Natürliche genetische Veränderungen führen zu neuen Rebsorten. Wie Pinot Gris aus Pinot Noir entstand und was Klonale Selektion bedeutet.

Eine Mutation im Weinbau bezeichnet eine spontane, natürliche genetische Veränderung einer Rebsorte, die zu neuen Eigenschaften führt – meist in Bezug auf Beerfarbe, Aromaprofil, Reifezeitpunkt oder Blattform. Mutationen sind eine wichtige Quelle für die Vielfalt im Weinbau und haben einige der heute bedeutendsten Rebsorten hervorgebracht.

Wie entstehen Mutationen?

Mutationen sind zufällige Veränderungen im Erbgut (DNA) einer Pflanze, die durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden können:

Spontane genetische Fehler: Bei der Zellteilung können Kopierfehler in der DNA auftreten. Diese sind meist harmlos oder tödlich, können aber gelegentlich zu vorteilhaften neuen Eigenschaften führen.

Umweltfaktoren: UV-Strahlung, Temperaturstress, Virusinfektionen oder chemische Einflüsse können Mutationen auslösen oder fördern.

Somatische Mutationen: Diese treten in einzelnen Zellen oder Trieben auf, nicht in den Fortpflanzungszellen. Ein einzelner Trieb einer Rebe kann mutieren und andere Eigenschaften zeigen als der Rest der Pflanze. Winzer können diesen Trieb dann als Steckling vermehren.

Langlebigkeit der Rebe: Weinreben können Hunderte von Jahren alt werden und vermehren sich hauptsächlich vegetativ (durch Stecklinge). In dieser langen Zeit akkumulieren sich kleine genetische Veränderungen, die zu verschiedenen "Spielarten" einer Rebsorte führen.

Arten von Mutationen

Farbmutationen

Die häufigste und auffälligste Form der Mutation betrifft die Beerenfarbe. Aus einer roten Rebsorte kann spontan eine weiße oder rosa Variante entstehen (oder umgekehrt):

Pinot-Familie: Das klassische Beispiel. Aus dem Pinot Noir (schwarz) sind durch Mutation entstanden:

  • Pinot Gris (grau-rosa) – in Deutschland als Grauburgunder bekannt
  • Pinot Blanc (weiß) – in Deutschland als Weißburgunder bekannt
  • Pinot Meunier (rot, behaarte Blätter) – Schwarzriesling

Diese Sorten sind genetisch nahezu identisch, unterscheiden sich aber in der Farbgebung und in feinen Nuancen des Aromaprofils.

Grenache-Familie: Aus Grenache Noir (rot) entstanden Grenache Gris (grau) und Grenache Blanc (weiß).

Sauvignon-Familie: Aus Sauvignon Blanc entstand durch Mutation Sauvignon Gris (rosa Beeren) und Sauvignon Rouge (rote Beeren).

Die Farbmutation betrifft die Produktion von Anthocyanen (Farbstoffen) in der Beerenhaut. Bei weißen Mutanten ist das Gen für Anthocyan-Produktion defekt oder inaktiv.

Aromatische Mutationen

Seltener, aber weinbaulich bedeutend sind Mutationen, die das Aromenprofil verändern:

Muskateller-Mutationen: Die Muskat-Familie zeigt viele aromatische Varianten – von intensiv muskatigen bis zu neutraleren Spielarten. Gelber Muskateller, Roter Muskateller und Muscat Blanc sind teils Mutationen, teils Kreuzungen.

Gewürztraminer: Gilt als aromatisch intensivere Mutation des Traminer (Savagnin). Die stärkere Aromatik machte den Gewürztraminer (den "gewürzten" Traminer) weltweit erfolgreich.

Reifemutationen

Einige Mutationen verändern den Reifezeitpunkt:

Frühe vs. späte Reife: Aus einer Sorte können früher oder später reifende Varianten entstehen. Dies erlaubt den Anbau in verschiedenen Klimazonen oder die Risikostreuung (Frostgefahr).

Seedless-Mutationen: Kernlose Mutationen (z.B. bei Tafeltrauben) sind für den Weinbau meist uninteressant, da Kerne zur Tanninstruktur beitragen.

Morphologische Mutationen

Veränderungen in Blattform, Triebwachstum oder Beerenform:

Pinot Meunier ("Müller-Traube" oder Schwarzriesling): Hat behaarte, weißlich schimmernde Blätter (wie bemehlt) – eine Mutation des Pinot Noir. Die Beeren reifen etwas früher und die Sorte ist frostresistenter.

Kompakte Trauben: Mutationen, die zu dichteren oder lockereren Trauben führen, beeinflussen die Anfälligkeit für Botrytis und andere Pilzkrankheiten.

Klonale Selektion

Da Weinreben vegetativ vermehrt werden (durch Stecklinge, nicht durch Samen), bleiben Mutationen erhalten und können gezielt selektiert werden. Dies führt zur Klonalen Selektion:

Was ist ein Klon?: Ein Klon ist eine genetisch identische Kopie einer Mutterpflanze. Alle Chardonnay-Reben eines bestimmten Klons sind genetische Zwillinge.

Warum Klonselektion?: Innerhalb einer Rebsorte gibt es hunderte von Klonen mit leicht unterschiedlichen Eigenschaften:

  • Ertrag (hoch vs. niedrig)
  • Beerengröße (klein, konzentriert vs. groß, saftig)
  • Aromaprofil (fruchtig vs. mineralisch)
  • Krankheitsresistenz
  • Reifezeitpunkt

Winzer wählen gezielt Klone aus, die zu ihrem Terroir und Weinstil passen. Ein Spitzenwinzer in Burgund verwendet andere Pinot Noir-Klone als ein Massenerzeuger in Kalifornien.

Massal Selection vs. Klonselektion:

  • Klonselektion: Vermehrung eines einzigen, optimalen Klons. Homogen, vorhersagbar, aber weniger komplex.
  • Massal Selection (Massenselektion): Mischung aus verschiedenen Klonen oder Reben aus dem eigenen Weinberg. Mehr Komplexität und Vielfalt, aber weniger kontrollierbar.

Viele Qualitätswinzer bevorzugen heute Massal Selection, um die natürliche genetische Vielfalt zu bewahren und komplexere Weine zu erzeugen.

Historisch bedeutende Mutationen

Müller-Thurgau aus Riesling: Ursprünglich sollte Müller-Thurgau eine Kreuzung sein, erwies sich aber genetisch als Riesling-Mutation oder Riesling x Madeleine Royale.

Chardonnay-Musqué: Eine aromatisch intensivere, muskatartige Variante des Chardonnay, die in manchen Weinbergen spontan auftritt.

Pinot Noir Précoce: Früher reifende Variante des Pinot Noir, wichtig in kühleren Regionen.

Gutedel (Chasselas): Hat zahlreiche Farbmutationen – rot, rosa, weiß – die alle als eigenständige Sorten behandelt werden.

Mutation vs. Kreuzung

Wichtig zu unterscheiden:

Mutation: Spontane genetische Veränderung innerhalb einer Sorte. Die neue Variante ist genetisch fast identisch mit der Ausgangssorte. Beispiel: Pinot Noir → Pinot Blanc.

Kreuzung: Gezielte oder natürliche Befruchtung zweier verschiedener Rebsorten, deren genetisches Material kombiniert wird. Beispiel: Cabernet Sauvignon = Kreuzung aus Cabernet Franc x Sauvignon Blanc.

Mutationen sind also keine neuen Rebsorten im eigentlichen Sinne, sondern Varianten der gleichen Sorte. Dennoch werden sie oft als eigenständige Sorten behandelt und haben eigene Namen.

Moderne Gentechnik und Mutation

Heute können Wissenschaftler Mutationen gezielt auslösen oder beschleunigen:

Strahlenbehandlung: Stecklinge werden bestrahlt, um Mutationsraten zu erhöhen. Einige moderne Klone entstanden so.

CRISPR und Genomeditierung: Die neue Technik erlaubt präzise genetische Veränderungen. Im Weinbau noch wenig verbreitet und regulatorisch umstritten, könnte aber resistente Sorten gegen Mehltau oder Klimawandel ermöglichen.

Natürlich vs. künstlich: Die Weinwelt ist traditionell konservativ. Natürliche Mutationen werden akzeptiert, gentechnisch veränderte Sorten (GMO) sind in Europa und vielen Weinbauländern verboten oder stark reguliert.

Mutationen im Weinberg erkennen

Aufmerksame Winzer entdecken manchmal Mutationen in ihren Weinbergen:

Farbabweichungen: Ein einzelner Trieb einer roten Rebe trägt plötzlich weiße oder rosa Beeren.

Chimären: Manchmal trägt derselbe Trieb verschiedenfarbige Beeren – teils rot, teils weiß. Dies deutet auf eine Mutation in einzelnen Zellschichten hin.

Aromenunterschiede: Eine Rebe schmeckt oder riecht anders als ihre Nachbarn, obwohl sie von derselben Mutter abstammen sollte.

Solche Entdeckungen können der Beginn einer neuen, wertvollen Spielart sein – oder einfach eine Kuriosität. Die Geschichte vieler heute bedeutender Rebsorten begann mit einem aufmerksamen Winzer, der eine ungewöhnliche Rebe in seinem Weinberg bemerkte.

Bedeutung für die Weinvielfalt

Mutationen sind eine wichtige Quelle der Rebsorten-Vielfalt:

Anpassung an verschiedene Klimazonen: Farbmutationen erlauben Weißweinproduktion aus traditionellen Rotweinsorten. Reifemutationen ermöglichen Anbau in kühleren oder wärmeren Regionen.

Aromatische Vielfalt: Verschiedene Mutanten einer Sorte bieten unterschiedliche Geschmacksprofile für verschiedene Weinstile.

Genetische Reserve: Die Vielfalt der Klone und Mutationen ist eine Versicherung gegen Krankheiten, Klimawandel und sich ändernde Verbraucherpräferenzen.

In Zeiten des Klimawandels und neuer Rebkrankheiten gewinnen Mutationen und die genetische Vielfalt innerhalb von Rebsorten zunehmend an Bedeutung. Die Erforschung und Erhaltung alter, lokaler Klone und Mutationen ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunftsfähigkeit des Weinbaus.

Häufige Fragen

Sind Mutationen natürlich oder künstlich? Mutationen entstehen von selbst in der Natur – sie sind völlig natürlich. Allerdings können Wissenschaftler Mutationen durch Strahlung oder Chemikalien beschleunigen. Die meisten weinbaulich wichtigen Mutationen sind aber spontan und natürlich entstanden.

Warum ist Pinot Blanc kein Chardonnay? Obwohl beide weiße Burgundersorten sind, ist Pinot Blanc eine Mutation des Pinot Noir, während Chardonnay eine Kreuzung aus Pinot Noir und Gouais Blanc ist. Genetisch sind sie unterschiedlich, auch wenn sie ähnlich aussehen können.

Sind Mutationen stabil? Meist ja – eine etablierte Mutation vererbt ihre Eigenschaften durch vegetative Vermehrung (Stecklinge) stabil weiter. Allerdings können weitere Mutationen auftreten (Rückmutationen oder neue Mutationen), was zur Vielfalt der Klone führt.

Schmeckt man den Unterschied zwischen Mutationen? Ja, durchaus! Pinot Noir und Weißburgunder schmecken sehr unterschiedlich, obwohl sie genetisch fast identisch sind. Die Mutation in der Farbgebung beeinflusst auch die Aromenbildung und Säurestruktur.

Kann ich aus Traubenkernen eine Mutation ziehen? Nein. Mutationen werden vegetativ (durch Stecklinge) vermehrt, nicht durch Samen. Aus einem Traubenkern wächst eine genetisch neue Pflanze (Kreuzung der Eltern), keine Mutation. Deshalb pflanzt man im Weinbau keine Kerne, sondern verwendet Stecklinge oder Veredelungen.

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