Wein-Glossar

Tertiäraromen

4. Dezember 2025
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Entdecke Tertiäraromen - die komplexen Aromen, die durch Flaschenreife entstehen. Von Leder und Tabak bis zu Honig, Pilzen und getrockneten Früchten.

Definition

Tertiäraromen, auch Reifearomen oder Bouquet genannt, sind komplexe Aromen, die sich während der Flaschenalterung entwickeln. Sie entstehen durch langsame chemische Reaktionen in der verschlossenen Flasche - hauptsächlich durch Oxidation, Polymerisation und die Interaktion von Säuren, Alkoholen und Phenolen. Tertiäraromen verleihen gereiften Weinen Tiefe, Komplexität und eine zusätzliche Aromenschicht, die über die ursprünglichen Primär- und Sekundäraromen hinausgeht.

Entstehung von Tertiäraromen

Flaschenreifung und Zeit

Tertiäraromen entwickeln sich ausschließlich während der Lagerung in der Flasche, nicht im Fass oder Tank. Der Prozess dauert Jahre bis Jahrzehnte und läuft sehr langsam ab. Die Geschwindigkeit hängt von mehreren Faktoren ab:

Sauerstoff: Der minimale Sauerstoff, der durch den Korken diffundiert oder beim Verschließen in der Flasche verbleibt, treibt oxidative Reaktionen an. Zu viel Sauerstoff (defekter Korken) führt zu Oxidation und Weinfehler, zu wenig (Schraubverschluss) kann die Entwicklung von Tertiäraromen verlangsamen oder verändern.

Temperatur: Ideale Lagerbedingungen (10-15°C) fördern langsame, kontrollierte Entwicklung. Höhere Temperaturen beschleunigen die Reifung, können aber zu vorzeitiger Alterung führen. Temperaturschwankungen sind schädlich.

Licht: UV-Licht kann Tertiäraromen negativ beeinflussen und vorzeitige Alterung verursachen. Dunkelheit ist ideal.

Feuchtigkeit: Hohe Luftfeuchtigkeit (70-80%) hält Korken elastisch und verhindert übermäßigen Sauerstoffeintritt.

Chemische Prozesse

Die Entstehung von Tertiäraromen ist komplex und nicht vollständig verstanden:

Oxidation: Langsame Reaktion mit Sauerstoff verändert Fruchtaromen, baut Tannine ab und erzeugt aldehydische, nussige Aromen.

Polymerisation: Tannine und Anthocyane verbinden sich zu größeren Molekülen, werden weicher und bilden Depot. Dies verändert die Textur und erzeugt Aromen von Leder, Tabak und Waldboden.

Hydrolyse: Abbau von Estern und anderen Verbindungen, wodurch neue Aromastoffe entstehen.

Reduktive Alterung: In Abwesenheit von Sauerstoff (Schraubverschluss) entwickeln sich andere Tertiäraromen - oft mehr Würze, Reduktion und weniger oxidative Noten.

Kategorien von Tertiäraromen

Bei Weißweinen

Honig: Eines der charakteristischsten Tertiäraromen bei gereiften Weißweinen, besonders bei Riesling, Chenin Blanc oder Sémillon. Entsteht durch Oxidation und die Umwandlung von Fruchtestern.

Petrol/Kerosin: Ein kontroverses, aber typisches Reifearoma bei Riesling, das durch die Verbindung TDN (Trimethyldihydronaphthalen) entsteht. Manche lieben es, andere empfinden es als störend.

Geröstete Nüsse: Mandel, Haselnuss, Walnuss - entstehen durch oxidative Prozesse und sind typisch für gereiften Chardonnay, Sherry oder Weißburgunder.

Wachs/Bienenwachs: Besonders bei altem Riesling oder Chenin Blanc - eine wachsige, leicht ölige Note.

Marzipan: Süßliche Mandelnote, typisch für gereifte Weißweine mit etwas Restsüße.

Getrocknete Früchte: Getrocknete Aprikose, Orangenschale, kandierte Zitrone - die frische Primärfrucht wandelt sich in konzentrierte, getrocknete Varianten.

Karamell/Toffee: Bei oxidativ gereiften Weißweinen oder Süßweinen wie Sauternes.

Pilze: Champignon, Steinpilz, Trüffel - können bei sehr alten Weißweinen auftreten, besonders bei Burgunder.

Bei Rotweinen

Leder: Eines der klassischsten Tertiäraromen bei gereiften Rotweinen - von weichem Wildleder bis zu altem, abgenutztem Leder. Entsteht durch Tannin-Polymerisation und Oxidation.

Tabak: Getrockneter Tabak, Zigarrenschachtel, Tabakblatt - typisch für gereifte Bordeaux, Cabernet Sauvignon oder Nebbiolo.

Waldboden/Unterholz: Erdige, pilzige Noten von feuchtem Waldboden, verrottendem Laub oder Humus. Besonders ausgeprägt bei gereiftem Pinot Noir oder Nebbiolo.

Pilze: Steinpilz, Morchel, Trüffel - eine delikate Tertiärnote bei gereiften, edlen Rotweinen.

Getrocknete Früchte: Die frische rote Frucht wandelt sich in Kompott, Dörrpflaume, getrocknete Kirsche, Feigen oder Rosinen.

Teer: Eine charakteristische Note bei gereiftem Barolo oder Barbaresco - dunkel, bituminös, komplex.

Gewürze: Die primären oder sekundären Gewürznoten entwickeln sich weiter - aus frischem Pfeffer wird getrockneter Pfeffer, aus Nelke wird Zimtstange.

Fleischig/Wildbraten: Bei sehr alten, gereiften Rotweinen können umami-artige, fleischige Noten auftreten - Wildbraten, Blutwurst, Bouillon.

Soja/Umami: Sojasauce, Miso, getrocknete Pilze - komplexe, würzige Tertiärnoten bei sehr alten Weinen.

Lakritze: Entwickelt sich aus Primäraromen weiter zu getrockneter, konzentrierter Lakritze.

Gemeinsame Tertiäraromen

Gewürznelke, Zimt, Muskatnuss: Süße Gewürze, die sich aus primären oder sekundären Noten entwickeln.

Kaffeesatz, Kakao: Dunkle, bittere Noten bei sehr alten Rot- oder Weißweinen.

Vanille (gereift): Die frische Barrique-Vanille entwickelt sich zu gereifter, konzentrierter Vanille-Essenz.

Medizinisch/Jod: Bei sehr alten Weinen können komplexe, fast medizinische Noten auftreten - Jod, Kampfer, Menthol.

Tertiäraromen bei verschiedenen Weinstilen

Burgunder Pinot Noir

Gereifter Pinot Noir aus dem Burgund zeigt klassische Tertiäraromen:

  • Jung (0-5 Jahre): Dominanz von Primäraromen (Kirsche, Himbeere, Erdbeere) und Sekundäraromen (Eiche, Gewürze)
  • Mittelalter (5-15 Jahre): Integration, Entwicklung von Waldboden, Pilzen, getrockneten Kräutern, Leder
  • Reif (15-30+ Jahre): Komplexes Bouquet von Trüffel, Unterholz, getrocknetem Rosenblatt, Soja, Fleischbrühe

Barolo und Nebbiolo

Nebbiolo-Weine sind langlebig und entwickeln charakteristische Tertiäraromen:

  • Jung: Kirsche, Rosenblüte, Lakritze, starke Tannine
  • Reifend (10-20 Jahre): Teer, getrocknete Rosen, Tabak, Leder, Trüffel
  • Voll gereift (20-40+ Jahre): Komplexes Bouquet von Waldboden, weißer Trüffel, Soja, getrockneten Kräutern, Zigarrenkiste

Bordeaux (Cabernet-basiert)

Bordeaux-Weine reifen elegant über Jahrzehnte:

  • Jung: Schwarze Johannisbeere, Zedernholz, Tabak (jung), Graphit
  • Mittlere Reife (10-20 Jahre): Zigarrenschachtel, Leder, getrocknetes Laub, Bleistiftspäne
  • Volle Reife (20-50+ Jahre): Tabak, Leder, Trüffel, Wildbraten, getrocknete Früchte, Waldboden

Riesling

Riesling ist einer der langlebigsten Weißweine und entwickelt faszinierende Tertiäraromen:

  • Jung: Limette, grüner Apfel, Mineralität
  • Mittlere Reife (5-15 Jahre): Honig, Petrol (TDN), Bienenwachs, reife Aprikose
  • Volle Reife (15-50+ Jahre): Intensiver Petrol, Honig, kandierte Orangenschale, Nüsse, Harz

Vintage Champagner

Champagner entwickelt durch lange Hefelagerung und Flaschenreife komplexe Tertiäraromen:

  • Jung (0-5 Jahre nach Degorgement): Brioche, Zitrus, frische Hefenaromen
  • Mittlere Reife (5-15 Jahre): Geröstete Nüsse, Honig, Toast, Buttergebäck
  • Volle Reife (15-30+ Jahre): Trüffel, Pilze, getrocknete Früchte, Nougat, komplexe Umami-Noten

Sherry und oxidative Weine

Sherry entwickelt durch bewusste Oxidation intensive Tertiäraromen bereits vor der Abfüllung:

  • Fino/Manzanilla: Mandeln, Hefe, salzige Noten, Kamille
  • Amontillado: Haselnuss, Karamell, Toffee, getrocknete Früchte
  • Oloroso/Palo Cortado: Walnuss, getrocknete Feigen, Datteln, Leder, Tabak, Schokolade

Diese oxidativen Tertiäraromen entstehen durch Flor-Hefe oder bewusste Oxidation im Fass und sind das Hauptmerkmal dieser Weinstile.

Faktoren für Lagerfähigkeit

Nicht alle Weine entwickeln Tertiäraromen. Die Lagerfähigkeit hängt von mehreren Faktoren ab:

Struktur und Balance

Säure: Hohe Säure wirkt als natürliches Konservierungsmittel und ist der wichtigste Faktor für Langlebigkeit. Riesling, Nebbiolo, Sangiovese haben hohe Säure und reifen hervorragend.

Tannine: Bei Rotweinen stabilisieren Tannine den Wein und polymerisieren während der Reifung, was Textur und Tertiäraromen beeinflusst.

Alkohol: Höherer Alkohol trägt zur Konservierung bei, aber zu viel kann die Balance stören.

Restzucker: Süßweine reifen oft besser als trockene, da Zucker konservierend wirkt (Sauternes, Eiswein, Vintage Port).

Extrakt und Konzentration: Weine mit mehr Extrakt und Konzentration haben mehr "Material" für die Entwicklung von Tertiäraromen.

Qualität und Herkunft

Grand Cru vs. einfacher Wein: Weine aus besseren Lagen haben oft mehr Struktur, Balance und Potenzial für lange Reifung.

Jahrgangsqualität: Große Jahrgänge mit optimaler Reife und Balance reifen besser als problematische Jahrgänge.

Winzer und Vinifikation: Sorgfältige Weinbereitung ohne zu viel Manipulation fördert Alterungspotenzial.

Lagerung

Selbst ein großer Wein entwickelt keine schönen Tertiäraromen bei schlechter Lagerung:

  • Konstante, kühle Temperatur (10-15°C)
  • Hohe Luftfeuchtigkeit (70-80%)
  • Dunkelheit
  • Ruhe (keine Vibrationen)
  • Liegend (Korken feucht halten)

Verkostung und Bewertung

Erkennen von Tertiäraromen

Bei der Verkostung gereifter Weine:

  • Ist die Primärfrucht noch präsent oder gewichen?
  • Welche nicht-fruchtigen Aromen sind wahrnehmbar (Leder, Tabak, Pilze)?
  • Wie komplex ist das Bouquet - vielschichtig oder eindimensional?
  • Ist der Wein im Gleichgewicht oder zeigt er Zeichen von übermäßiger Alterung?

Farbveränderung

Tertiäraromen gehen oft mit Farbveränderungen einher:

Weißwein: Von blassgelb über goldgelb zu bernsteinfarben oder bräunlich (bei sehr alten Weinen)

Rotwein: Von violett über rubinrot zu ziegelrot, braunrot oder orangebraun (bei sehr alten Weinen)

Eine zu starke Bräunung kann auf Überalterung oder oxidativen Schaden hinweisen.

Positive vs. negative Alterung

Positive Tertiäraromen: Komplex, harmonisch, integriert, balanciert mit Struktur - der Wein hat an Tiefe gewonnen

Negative Alterung: Flach, oxidiert, trocken, ausgehöhlt - die Frucht ist verschwunden, ohne dass Komplexität entstand; der Wein ist "tot"

Der richtige Trinkreifezeitpunkt

Die Kunst liegt darin, den optimalen Trinkreifezeitpunkt zu finden:

Zu jung: Dominanz von Primär- und Sekundäraromen, verschlossenes Bouquet, harte Tannine, unintegriert

Optimale Reife: Harmonie von Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen, weiche Tannine, komplexes Bouquet, volle Entfaltung

Zu alt: Tertiäraromen sind da, aber Frucht und Struktur sind verschwunden, oxidative Noten dominieren, der Wein wirkt müde

Dieser Zeitpunkt variiert stark nach Wein, Jahrgang und persönlichem Geschmack. Manche bevorzugen junge, fruchtbetonte Weine, andere schätzen reife, tertiäre Komplexität.

Tertiäraromen und Food Pairing

Gereifte Weine mit Tertiäraromen passen zu anderen Speisen als junge Weine:

Umami-reiche Gerichte

Tertiäraromen harmonieren hervorragend mit Umami:

  • Pilzgerichte: Steinpilzrisotto, Trüffelpasta, gebratene Morcheln
  • Gereiftes Fleisch: Dry-aged Beef, Wildbraten, Entenbrust
  • Brühen und Fonds: Rinderbrühe, Demi-Glace, reduzierte Saucen

Klassische Kombinationen

  • Barolo mit Trüffel: Die tertiären Trüffelaromen des Weins spiegeln die frischen Trüffel im Essen
  • Alter Bordeaux mit Lamm: Leder- und Tabaknoten ergänzen rosig gebratenes Lamm perfekt
  • Gereifter Riesling mit Gänseleberpastete: Honig und Wachsnoten balancieren die Reichhaltigkeit

Käse

Gereifte Weine passen oft besser zu gereiftem Käse:

  • Alter Rotwein mit Comté, altem Gouda, Manchego: Die nussigen, komplexen Aromen harmonieren
  • Gereifter Weißwein mit Bergkäse oder getrüffeltem Käse: Die tertiären Noten ergänzen sich

Vermeiden

  • Frische, leichte Gerichte (überfordern den gereiften Wein nicht)
  • Stark gewürzte, dominante Saucen (überdecken die subtilen Tertiäraromen)
  • Sehr süße Desserts (außer bei Süßweinen)

Schraubverschluss vs. Korken

Die Verschlussart beeinflusst die Entwicklung von Tertiäraromen:

Naturkorken

  • Erlaubt minimalen Sauerstoffeintritt (1-2 mg pro Jahr)
  • Fördert oxidative Tertiäraromen (Leder, Tabak, Nüsse)
  • Traditionell für lagerfähige Weine
  • Risiko von Korkfehler (TCA) oder undichten Korken

Schraubverschluss

  • Nahezu luftdicht, minimale Oxidation
  • Entwickelt andere, reduktivere Tertiäraromen
  • Weine bleiben länger frisch, fruchtig
  • Manche Weinliebhaber bevorzugen die oxidativen Noten von Korken, andere schätzen die Frische von Schraubverschlüssen

Studien zeigen, dass Weine unter Schraubverschluss anders altern - nicht schlechter, nur anders.

Häufige Fragen

Wie lange muss ein Wein reifen, um Tertiäraromen zu entwickeln?

Das variiert stark: Manche Weine zeigen erste tertiäre Noten nach 3-5 Jahren (leichte Rotweine, Weißweine), andere brauchen 10-15 Jahre (Barolo, Bordeaux) oder 20-30+ Jahre (große Jahrgänge, Riesling).

Werden alle Weine besser mit Alter?

Nein. Nur 1-5% aller produzierten Weine profitieren von langer Flaschenreife. Die meisten Weine sind für sofortigen Konsum gemacht und entwickeln keine interessanten Tertiäraromen - sie werden einfach müde und verlieren Frucht.

Kann ich Tertiäraromen beschleunigen?

Nicht empfehlenswert. Höhere Lagertemperaturen beschleunigen die Reifung, aber das Ergebnis ist selten harmonisch. Künstliche Alterung (Hitze, Sauerstoff) produziert keine echten Tertiäraromen, sondern Oxidation.

Sind Tertiäraromen immer wünschenswert?

Geschmackssache. Viele Menschen bevorzugen junge, fruchtbetonte Weine. Tertiäraromen sind komplex, aber manchmal weniger zugänglich. Manche "tertiären" Noten (übermäßige Oxidation, Muffigkeit) sind Weinfehler, keine gewünschte Reife.

Fazit

Tertiäraromen sind das Ergebnis geduldiger Flaschenreifung und verleihen großen Weinen eine zusätzliche Dimension von Komplexität und Tiefe. Sie sind der Höhepunkt der aromatischen Evolution - von frischer Primärfrucht über Sekundäraromen aus dem Keller bis hin zu den vielschichtigen, erdigen, würzigen Tertiärnoten gereifter Weine. Das Verständnis von Tertiäraromen ist entscheidend für die Wertschätzung alter Weine und hilft einzuschätzen, wann ein Wein seinen optimalen Trinkreifezeitpunkt erreicht hat.

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