Wein-Glossar

Ganztraubenvergärung

4. Dezember 2025
weinbereitungrotweinkellerarbeit

Die Ganztraubenvergärung ist eine traditionelle Weinbereitungstechnik, die Rotweinen zusätzliche Komplexität verleiht. Erfahre alles über diese burgundische Methode.

Definition

Ganztraubenvergärung (französisch: vendanges entières, englisch: whole bunch/cluster fermentation) bezeichnet ein Weinbereitungsverfahren, bei dem ein Teil oder alle Trauben mit den Stielen (Rappen) vergoren werden, anstatt diese vor der Gärung zu entfernen. Diese Technik wird hauptsächlich bei der Rotweinbereitung angewendet und ist besonders im Burgund verbreitet.

Der Prozess

Traditionelle Rotweinbereitung

Bei der konventionellen Rotweinbereitung werden die Trauben nach der Lese durch eine Entrappungsmaschine (Abbeermaschine) geführt. Diese trennt die Beeren von den Stielen, die dann entsorgt werden. Nur die Beeren werden mit den Schalen vergoren.

Ganztraubenvergärung

Bei der Ganztraubenvergärung werden entweder:

  • Alle Trauben komplett mit Stielen in den Gärbehälter gegeben (100% Ganztraubenvergärung)
  • Ein Teil der Trauben mit Stielen, der Rest entrappt (z.B. 30-50% ganze Trauben)

Die ganzen Trauben werden vorsichtig in den Gärbehälter geschichtet. Die unteren Beeren werden durch das Gewicht der oberen Trauben leicht angequetscht, während viele Beeren intakt bleiben.

Zwei Gärtypen laufen parallel ab

Bei der Ganztraubenvergärung finden zwei verschiedene Gärprozesse gleichzeitig statt:

1. Intrazelluläre Gärung (Kohlensäuregärung)

In den intakten Beeren, die von CO₂ umgeben sind, findet eine anaerobe Gärung innerhalb der Beere statt:

  • Enzyme in der Beere bauen Apfelsäure ab
  • Es entstehen besondere Aromastoffe
  • Die Beeren platzen nach einigen Tagen und setzen den aromatischen Saft frei
  • Dieser Prozess ist ähnlich zur Beaujolais-Methode (Macération carbonique)

2. Normale alkoholische Gärung

Der Saft, der aus den geplatzten Beeren ausgetreten ist, vergärt normal mit Hefen. Dabei findet auch die Maischegärung mit Schalenextraktion statt.

Rolle der Stiele

Die Stiele (Rappen) spielen eine zentrale Rolle und beeinflussen den Wein auf mehrere Arten:

Tannine

Stiele enthalten Tannine, allerdings von anderer Qualität als die Tannine aus Schalen und Kernen:

  • Unreife Stiele: Adstringent, grün, bitter – unerwünscht
  • Reife, verholzte Stiele: Feiner, würzig, strukturgebend – erwünscht

Entscheidend ist daher der Reifegrad der Stiele. In kühlen Jahren oder bei zu früher Lese können die Stiele grüne, bittere Noten einbringen. In warmen Jahren mit vollreifer Lese können sie dem Wein elegante Struktur und Würze verleihen.

Aromatik

Reife Stiele bringen charakteristische Aromen:

  • Gewürze: Zimt, Nelke, weißer Pfeffer
  • Kräuter: Getrocknete Kräuter, Tee, Tabak
  • Florale Noten: Veilchen, frische Blumen
  • Würzigkeit: Eine schwer zu beschreibende "Stiel-Würze"

Struktur & Belüftung

Die Stiele haben auch physikalische Effekte:

  • Schaffen Hohlräume in der Maische, die für bessere Belüftung sorgen
  • Wirken wie ein natürliches Gerüst, das die Maische lockert
  • Erleichtern das Abpressen nach der Gärung
  • Absorbieren Feuchtigkeit, was die Konzentration leicht erhöht

Auswirkungen auf den Wein

Aromaprofil

Weine mit Ganztraubenvergärung zeigen typischerweise:

  • Mehr florale Noten: Veilchen, Rosen, frische Blumen
  • Würzige Komponenten: Kräuter, Pfeffer, exotische Gewürze
  • Frischere Frucht: Helle rote Beeren, knackige Kirsche
  • Komplexität: Zusätzliche aromatische Schichten

Textur & Struktur

  • Seidigere Tannine: Trotz zusätzlicher Tannine aus den Stielen oft feinkörniger
  • Mehr Struktur: Vertikale, straffe Struktur statt breiter, schwerer Struktur
  • Bessere Frische: Lebendiger, spannungsvoller Charakter
  • Eleganz: Weniger opulent, dafür finessereicher

Farbe

Die Weine sind oft etwas heller in der Farbe als vollständig entrappte Weine, da:

  • Stiele einen Teil des Saftes absorbieren
  • Die Extraktion durch die lockere Maischestruktur sanfter verläuft

Regionale Traditionen

Burgund

Die Heimat der Ganztraubenvergärung. Hier variiert der Anteil ganzer Trauben je nach:

  • Produzent: Manche verwenden 0%, andere bis zu 100%
  • Jahrgang: In warmen Jahren mehr ganze Trauben, in kühlen weniger
  • Weinberg: Alte Reben mit verholzten Stielen erlauben höhere Anteile

Berühmte Domänen wie Domaine de la Romanée-Conti verwenden traditionell hohe Anteile ganzer Trauben.

Rhône

Einige Winzer im nördlichen Rhône-Tal (Côte-Rôtie, Hermitage) experimentieren mit ganzen Trauben bei Syrah. Der Anteil ist meist niedriger als im Burgund.

Neue Welt

Moderne Pinot Noir-Produzenten weltweit (Oregon, Neuseeland, Australien) übernehmen zunehmend diese Technik aus dem Burgund.

Deutschland

Bei Spätburgunder und Frühburgunder setzen ambitionierte deutsche Winzer vermehrt auf Ganztraubenvergärung, um burgundische Stilistik zu erreichen.

Voraussetzungen für erfolgreiche Ganztraubenvergärung

Reife der Stiele

Die wichtigste Voraussetzung: Die Stiele müssen physiologisch reif sein, also verholzt und braun. Grüne, unreife Stiele würden grüne, bittere Noten einbringen. Dies erfordert:

  • Späte Lese
  • Gesunde Trauben
  • Gute klimatische Bedingungen

Geeignete Rebsorten

Besonders geeignet sind:

  • Pinot Noir/Spätburgunder: Die klassische Rebsorte für diese Technik
  • Frühburgunder: Profitiert von der zusätzlichen Struktur
  • Syrah: In bestimmten Stilrichtungen
  • Gamay: Für Beaujolais Cru

Weniger geeignet sind Sorten mit von Natur aus sehr kräftigen Tanninen oder intensiver Farbe.

Handarbeit

Ganztraubenvergärung erfordert:

  • Handlese: Maschinenlese zerstört zu viele Beeren
  • Vorsichtiger Transport: Intakte Trauben sind wichtig
  • Sanftes Befüllen: Schonender Umgang im Keller

Varianten & Abstufungen

Die Technik ist flexibel:

  • 100% Ganztrauben: Maximaler Effekt, höchstes Risiko
  • 50-70% Ganztrauben: Ausgewogener Ansatz, typisch im Burgund
  • 20-30% Ganztrauben: Subtiler Einfluss, sicherere Variante
  • 0% (vollständig entrappt): Moderne Reinheit, volle Fruchtbetonung

Viele Winzer variieren den Anteil je nach Jahrgang und Reife der Stiele.

Risiken & Herausforderungen

Unreife Stiele: Führen zu grünen, gemüsigen Aromen und harten, bitteren Tanninen Fäulnis: Faule oder beschädigte Trauben sind problematischer bei Ganztraubenvergärung Komplexität: Schwieriger zu kontrollieren als klassische Entrappung Verdünnung: Stiele absorbieren Saft, was die Ausbeute leicht reduziert

Zusammenfassung

Die Ganztraubenvergärung ist eine anspruchsvolle Technik, die in den richtigen Händen und unter optimalen Bedingungen Rotweinen zusätzliche Komplexität, Finesse und Struktur verleihen kann. Sie erfordert allerdings reife Trauben, gesundes Lesegut und sorgfältige Kellertechnik. Die besten Beispiele zeigen, wie diese alte burgundische Tradition Weine von außergewöhnlicher Eleganz und aromatischer Tiefe hervorbringen kann.

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