Ertrag im Weinbau
Ertrag im Weinbau – warum weniger oft mehr ist. Erfahre, wie Ertragsreduzierung die Weinqualität beeinflusst und was Hektoliter pro Hektar bedeuten.
Was bedeutet Ertrag?
Der Ertrag bezeichnet im Weinbau die Menge an Trauben oder Wein, die pro Flächeneinheit (meist pro Hektar) produziert wird. Er wird entweder in Kilogramm Trauben pro Hektar oder – nach der Verarbeitung – in Hektolitern Wein pro Hektar gemessen. Der Ertrag ist einer der entscheidendsten Faktoren für die Weinqualität und steht im Zentrum einer uralten Debatte: Qualität versus Quantität.
Die Grundregel ist einfach: Je geringer der Ertrag, desto konzentrierter und intensiver werden in der Regel die Trauben – und damit der daraus gewonnene Wein. Eine Rebe mit wenigen Trauben kann ihre gesamte Energie in diese wenigen Früchte stecken, während eine überladene Rebe diese Energie auf viele Trauben verteilen muss. Das Ergebnis: kleinere Beeren mit dickerer Schale und konzentrierteren Aromen.
Wie wird der Ertrag gemessen?
Es gibt verschiedene Maßeinheiten für den Weinbau-Ertrag:
Hektoliter pro Hektar (hl/ha): Die gängigste Einheit in Europa. Ein Hektoliter entspricht 100 Litern. Ein Ertrag von 50 hl/ha bedeutet also, dass aus einem Hektar Weinberg 5.000 Liter Wein produziert werden.
Tonnen pro Hektar (t/ha): Misst das Traubengewicht vor der Verarbeitung. Üblich in der Neuen Welt. Typischerweise ergeben etwa 1,3 bis 1,5 Tonnen Trauben einen Hektoliter Wein.
Tonnen pro Acre: In den USA gebräuchlich. Ein Acre entspricht etwa 0,4 Hektar.
Ertrag pro Rebstock: In Premiumweingütern wird manchmal der Ertrag pro einzelnem Stock gemessen, etwa "500 Gramm pro Stock" oder "eine Flasche pro Rebstock".
Typische Erträge nach Weintyp
Die erlaubten und üblichen Erträge variieren stark je nach Region, Appellation und angestrebter Qualität:
Sehr niedrige Erträge (20-35 hl/ha):
- Spitzen-Bordeaux (Grand Cru Classé)
- Barolo und Barbaresco DOCG
- Côte d'Or Burgund (Grand Cru)
- Deutsche Spätlesen und Auslesen von Steillagen
- Top-Napa-Cabernets
Niedrige Erträge (35-50 hl/ha):
- Hochwertige AOC/DOC-Weine
- Châteauneuf-du-Pape
- Priorat und Rioja Gran Reserva
- Qualitätschampagner
- Amarone della Valpolicella
Mittlere Erträge (50-70 hl/ha):
- Solide Qualitätsweine
- Viele deutsche QbA-Weine
- Chianti Classico
- Einfache AOC-Weine
- Gute Alltagsweine
Hohe Erträge (70-100 hl/ha):
- Einfache Tafelweine
- Massenweine
- Prosecco
- Viele Neue-Welt-Weine im unteren Preissegment
- Deutscher Landwein
Sehr hohe Erträge (über 100 hl/ha):
- Industrielle Massenproduktion
- Tafelweine
- Tetra-Pak-Weine
Faktoren, die den Ertrag beeinflussen
Rebsorte: Manche Sorten sind von Natur aus ertragsstark (z.B. Müller-Thurgau, Trebbiano), andere eher ertragsschwach (z.B. Pinot Noir, Nebbiolo).
Rebalter: Alte Reben produzieren natürlicherweise weniger Trauben, dafür aber konzentriertere.
Boden und Terroir: Karge, nährstoffarme Böden führen zu geringeren Erträgen. Fruchtbare Böden produzieren mehr Trauben.
Klima und Jahrgang: Perfekte Wetterbedingungen können zu hohen Erträgen führen. Trockenheit, Frost oder Hagel reduzieren den Ertrag drastisch.
Rebschnitt: Die wichtigste Methode zur Ertragskontrolle. Beim Winterschnitt wird die Zahl der Knospen pro Stock limitiert – weniger Knospen bedeuten weniger Trauben.
Grüne Lese (Vendange verte): Im Sommer werden unreife Trauben entfernt, um den Ertrag zu reduzieren und die Energie auf die verbleibenden Trauben zu konzentrieren.
Pflanzabstand: Enger gepflanzte Reben (z.B. 10.000 Stöcke/ha in Burgund) konkurrieren stärker um Nährstoffe und produzieren individuell weniger Trauben als weit gepflanzte Reben (z.B. 2.000 Stöcke/ha in manchen Neuen-Welt-Regionen).
Ertrag und Weinqualität
Die Beziehung zwischen Ertrag und Qualität ist nicht linear, aber eindeutig:
Zu hoher Ertrag: Die Trauben werden wässrig, die Aromen verdünnt, die Konzentration fehlt. Der Wein schmeckt dünn, fade und charakterlos. Hohe Erträge sind die Hauptursache für mittelmäßige Massenweine.
Optimaler Ertrag: Die Rebe ist im Gleichgewicht. Die Trauben reifen vollständig aus und entwickeln Konzentration, Aromen und Struktur. Der Wein zeigt Komplexität und Charakter. Dieser optimale Ertrag ist je nach Rebsorte, Terroir und Jahrgang unterschiedlich.
Zu niedriger Ertrag: Auch möglich, aber selten. Bei extremer Ertragsreduzierung (unter 20 hl/ha) können die Weine überkonzentriert, tanninlastig oder unausgewogen wirken. Manchmal sinkt auch die aromatische Vielfalt. Außerdem wird der Wein wirtschaftlich kaum rentabel.
Die 30-50 hl/ha-Regel
Viele Experten sehen 30 bis 50 hl/ha als idealen Bereich für hochwertige Rotweine. In diesem Bereich ist die Konzentration hoch genug für Komplexität, ohne überextrahiert zu wirken. Für Weißweine kann der optimale Bereich etwas höher liegen (40-60 hl/ha), da hier Frische und Eleganz wichtiger sind als maximale Konzentration.
Ertragsreduzierung in der Praxis
Qualitätsorientierte Winzer setzen verschiedene Techniken ein, um den Ertrag zu kontrollieren:
Winterschnitt: Die Anzahl der Knospen wird bereits im Winter drastisch reduziert. Statt 20 Knospen bleiben vielleicht nur 6-8 pro Stock.
Grüne Lese (Ausdünnen): Im Juli/August, wenn die Trauben noch grün und unreif sind, werden ganze Trauben abgeschnitten. Die Energie der Rebe fließt in die verbleibenden Trauben.
Ausbrechen: Schon im Frühjahr werden überzählige Triebe entfernt.
Selektion bei der Lese: Bei der Ernte werden nur perfekt reife, gesunde Trauben geerntet. Unreife oder beschädigte Trauben bleiben am Stock – eine weitere Form der Ertragsreduzierung.
Appellationen mit Ertragsbeschränkungen
Viele Qualitäts-Appellationen legen Maximalerträge fest, um die Qualität zu sichern:
Frankreich (AOC/AOP):
- Champagne AOC: Max. 79 hl/ha (bis 2020: 102 hl/ha)
- Châteauneuf-du-Pape: Max. 35 hl/ha
- Pomerol: Max. 42 hl/ha
- Côte-Rôtie: Max. 40 hl/ha
Italien (DOC/DOCG):
- Barolo DOCG: Max. 56 hl/ha
- Brunello di Montalcino DOCG: Max. 52 hl/ha
- Amarone della Valpolicella DOCG: Max. 65 hl/ha (aber durch Trocknung stark reduziert)
Spanien (DO/DOCa):
- Rioja DOCa: Max. 60 hl/ha
- Priorat DOQ: Max. 39 hl/ha
Deutschland:
- Großes Gewächs (VDP): Max. 50 hl/ha
- Erstes Gewächs (Rheingau): Max. 50 hl/ha
Diese Limits werden kontrolliert, und Überschreitungen können zur Aberkennung der Herkunftsbezeichnung führen.
Ertrag und Preis
Der Ertrag hat direkten Einfluss auf den Weinpreis. Ein Hektar Weinberg hat Fixkosten (Arbeit, Pflege, Lese, Kellerarbeit), unabhängig vom Ertrag. Bei niedrigem Ertrag müssen diese Kosten auf weniger Flaschen umgelegt werden:
Beispielrechnung:
- Fixkosten pro Hektar: 10.000 €
- Ertrag 1: 100 hl/ha = 13.333 Flaschen → 0,75 € Produktionskosten/Flasche
- Ertrag 2: 30 hl/ha = 4.000 Flaschen → 2,50 € Produktionskosten/Flasche
Hinzu kommt der Qualitätsfaktor: Weine mit niedrigem Ertrag erzielen aufgrund ihrer höheren Qualität deutlich höhere Marktpreise. Ein Grand Cru mit 25 hl/ha kann für 100 € verkauft werden, während ein Alltagswein mit 80 hl/ha vielleicht 5 € bringt.
Marketing und "Ertragsmythos"
Einige Kritiker sprechen von einem "Ertragsmythos" – der Übertreibung, dass jeder großartige Wein extrem niedrige Erträge haben müsse. Es gibt durchaus exzellente Weine mit moderaten Erträgen (50-60 hl/ha), wenn Boden, Klima und Weinbereitung stimmen.
Manche Weingüter werben mit extrem niedrigen Erträgen als Marketinginstrument: "Nur 20 hl/ha!" Das kann ein Qualitätssignal sein – oder einfach Marketing. Wichtiger als die reine Zahl ist, ob der Ertrag für das spezifische Terroir und die Rebsorte angemessen ist.
Fazit
Der Ertrag ist ein zentraler Qualitätsfaktor im Weinbau, aber nicht der einzige. Die Kunst liegt darin, den optimalen Ertrag für die jeweilige Lage, Rebsorte und den gewünschten Weinstil zu finden. Weniger ist meist mehr – aber es gibt auch ein "zu wenig". Die besten Winzer der Welt haben ein Gespür dafür, wie viele Trauben ihre Reben tragen sollten, um perfekt ausbalancierte, charaktervolle Weine zu erzeugen.
Für Weintrinker ist der Ertrag ein nützlicher Indikator: Weine mit extrem niedrigen Erträgen (unter 30 hl/ha) sind selten, teurer und oft außergewöhnlich konzentriert. Weine mit sehr hohen Erträgen (über 80 hl/ha) sind in der Regel einfache Alltagsweine. Dazwischen liegt eine breite Palette, in der sowohl großartige als auch mittelmäßige Weine zu finden sind – der Ertrag allein entscheidet nicht über Qualität, aber er ist ein wichtiger Baustein.
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